Gedanken aus dem Interview von Reto Hunziker mit Christoph Niemann,
Quelle: Der Bund, Das Magazin, 05.11.2021 (aktualisiert 24.12.2021)
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Die Tätigkeit des Künstlers ist es, dazusitzen und Tonleitern zu üben. Oder zwanzigmal die gleiche Zeichnung zu machen und darin einen gewissen Frieden zu finden. Wenn man das mal akzeptiert, wird tatsächlich alles besser.
Christoph Niemann
Wieso müssen Sie sich immer wieder neu erfinden?
Es ist ein Zwang. Ich bin so interessiert an den Formen selber, dass ich ständig die Sprache neu erfinden will. Wie ändert sich der Inhalt, wenn ich eine andere Technik anwende? Wenn ich noch abstrakter werde? Manchmal verfluche ich mich deswegen auch ein bisschen. Wäre es nicht leichter, wenn ich einfach bei etwas bleiben würde? Aber ich bin zu getrieben, um es dabei zu belassen.
Man könnte hier ein eskapistisches Motiv sehen.
Schon möglich. Mit einem Freund treffe ich mich alle paar Wochen. Ich spiele Klavier, er singt. Elton John, Frank Sinatra. Es gibt sicher weltweit fünfzig Millionen Bar-Pianisten, die «Moon River» besser spielen können, aber wenn wir gemeinsam Musik machen, fühle ich: Das reicht. Würden wir öfter üben, wären wir noch besser, wir könnten auch vor Publikum spielen oder uns aufnehmen – tun wir alles nicht. Trotzdem ist es richtig und auf eine Art genug.
Da können Sie ganz ohne Ambitionen sein?
Ohne Ambitionen und dennoch ist es würdig. Das ist, wie wenn Sie mit Ihren Kindern Weihnachtslieder singen. Es geht nicht darum, dass es gut klingt, sondern um den Augenblick der Gemeinsamkeit. Ich habe ein einfaches Stück ganz vernünftig gespielt, jetzt ist es weg, aber somit ist es auch richtig. Wie Toastbrot mit Marmelade. Das ist nichts Besonders. Man könnte es vielleicht noch leicht besser machen, wahrscheinlich aber auch nicht viel. Es kann auf eine Art perfekt sein. So, dass es einen froh macht.
Stehen Ambitionen dem Genuss im Weg?
Das ist die Frage. Hätte ich mehr Ahnung von Wein, könnte ich mit meiner Frau den Supermarkt-Chianti vielleicht nicht so geniessen. Vielleicht sind es weniger die Ambitionen, sondern es ist mehr das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit. Damit hadere ich in den Klavierstunden. Wenn man nicht weiss, was man alles falsch macht, kann mans viel besser geniessen.
Sie skizzieren mit Lego – liegt das Frappante in der Einfachheit?
Bei der Reduktion geht es nicht um eine Schmucklosigkeit, sondern um eine reduzierte Formsprache. Durch die Begrenzung der Regeln können interessante Sachen passieren. Wie beim Schachspiel: Die Regeln sind klar limitiert, dennoch gibt es kreative Züge. Auf dem Klavier habe ich nur achtundachtzig Tasten, die ich nur auf sehr begrenzte Art modulieren kann. Ich kann nicht zupfen, streichen und schrummen wie auf einer Gitarre.
«Pianoforte» von Christoph Niemann
Veröffentlicht von Abstractometer Press.
Design Ariane Spanier.
Hardcover, 144 seiten, 17,7 x 14,6,
1. auflage, 2020.
Basierend auf dem essay für das New York Times Magazine über die liebe zur klassischen musik und den harten kampf, als erwachsener noten lesen zu lernen.
Zu beziehen bei shop.christophniemann.com
Liebeserklärungen ans Klavier: Pianoforte – Modern Times
